Andreas Mailath-Pokorny

Wiener Kulturstadtrat

Musical-Zeitung: In Wien haben in der Vergangenheit einige große und namhafte Musicalproduktionen wie beispielsweise "Tanz der Vampire" oder "Rebecca" ihre Welturaufführung erlebt. Manche Produktionen wie "Elisabeth" kommen, bzw. kamen sogar wieder, und andere Musicalproduktionen wie "Romeo & Julia" wurden immerhin in Wien als deutschsprachige Erstaufführung gezeigt. Woher kommt der außergewöhnlich enge Bezug der Stadt Wien zum Musical?

Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny:
Wien war und ist seit eh und je eine Musikmetropole. Auch das Musical hat hier seinen Platz gefunden und wurde von Rolf Kutschera im Theater an der Wien erstklassig eingeführt. Mit dem riesigen Erfolg der deutschsprachigen Erstaufführung von CATS hat Peter Weck Wien vor fast 30 Jahren auch als Musicalmetropole etabliert. Heute verstehen sich die VEREINIGTEN BÜHNEN WIEN nicht nur mehr als Spielort, sondern haben selbst großartige Stoffe entwickelt, produziert und international zum Erfolg gemacht. Das Exportgeschäft der VEREINIGTEN BÜHNEN WIEN ist eine Erfolgsgeschichte auch für Wien.




 

Andreas Mailath-Pokorny Foto: Peter Rigaud

Musical-Zeitung: Wenn sie nicht sogar ihre Premiere in Wien feiern, so scheinen eigentlich alle namhaften Musicalproduktionen zumindest irgendwann einmal in Wien mit Erfolg Station zu machen. Was - glauben Sie - macht Wien als Stadt so attraktiv für die Musicalszene?

Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny:
Ich glaube, es gibt ein ganz spezielles kreatives Klima in der Stadt. Immer wieder bestätigen mir Schauspieler und Künstlerinnen, dass die Art, wie sie in Wien willkommen geheißen werden, etwas ganz Besonderes ist. Ich denke, das ist ein wichtiger Grund für kreatives Schaffen: Künstler fühlen sich wohl hier. Außerdem sind natürlich die Arbeitsbedingungen an unseren Theatern ausgezeichnet, was eine ebenso wichtige Basis ist.

Musical-Zeitung: In Wien sind mittlerweile auch mehrere Institutionen ansässig, die eine Ausbildung im Bereich Musical oder musikalisches Unterhaltungstheater anbieten. Damit gibt es also auch eine fachbezogene akademische oder schulische Infrastruktur. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung, und wie sehen Ihre Entwicklungsprognosen in Bezug auf Wien als Musicalmetropole aus?


Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny:
Wien ist eine international anerkannte Musicalmetropole, das Musical gehört heute einfach zum Portefeuille einer Kulturstadt dazu. Was die VEREINIGTEN BÜHNEN WIEN an Musical zeigen ist erste Qualität – in allen Bereichen, bei Leading- und Creative Teams, Orchester, Darstellerinnen. Das ist wichtig, denn das Publikum von heute lässt sich nicht mehr in klar abgegrenzte Zielgruppen einteilen: Wer heute in die Oper geht, besucht morgen ein Rockkonzert oder eben ein wirklich gutes Musical. Zudem sind die Lebenszyklen der Produktionen kürzer geworden: Im überwältigenden Entertainment- und Kulturangebot wird schneller entschieden. Diese Veränderungen müssen in der Programmierung und Bewerbung von Theater und Musical berücksichtigt werden, dann bleibt Wien auch als Musicalmetropole weiter ganz vorne.

Musical-Zeitung: Vor einigen Jahren wurde im Raimund Theater auch das Musical "Wake up" uraufgeführt, bei dem der sehr bekannte Sänger Rainhard Fendrich als Autor und Darsteller in Erscheinung trat. Das war auch ein besonderes Musicalerlebnis. Der Inszenierung war viel Kreativität anzumerken. In wie weit sind beim Genre Musical Ihrer Meinung nach die Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft, inhaltlich wie künstlerisch? Welche Gangrichtung des Musicalgenres würden Sie sich für die Zukunft wünschen?

Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny:
Wichtig ist jedenfalls eine gehaltvolle und nachvollziehbare Geschichte. Mein letzter Besuch im Ronacher galt dem 25jährigen Jubiläum des VBW-Orchesters. Zu diesem Anlass war eine konzertante, sagen wir besser: halbszenische Fassung des „Phantom der Oper“ zu sehen – und die Geschichte ist immer noch so spannend wie am ersten Tag. Die Vereinigten Bühnen planen, 2014 wieder eine Eigenproduktion herauszubringen – da wünsche ich mir eine solche tolle, aktuelle Geschichte, und dazu eine Musik und Bühne von heute, auf jenem höchsten Wiener Niveau, das wieder einen internationalen Erfolg möglich macht.

Musical-Zeitung: Hinter den großen Musicalproduktionen in Wien stehen organisatorisch in erster Linie die VEREINIGTEN BÜHNEN WIEN. Besonders vor 2004 gab es auch im Theater an der Wien das eine oder andere beeindruckend realisierte Musical wie "Jekyll & Hyde". Inzwischen füllt das Theater offenbar eher die Sparte Operette und Oper aus. Ist das - wie man als Außenstehender denken könnte - eine Art Ausweichszenario in Bezug auf die großen Musicalspielstätten Raimund Theater und Ronacher Theater, oder wie beurteilen Sie diese Wandlung?

Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny:
Es war eine wichtige kulturpolitische Entscheidung, das Theater an der Wien anlässlich des Mozartjahres 2006 zu einem Stagione Opernhaus umzuwidmen und parallel dazu das Ronacher zu einer voll bespielbaren Musicalbühne zu sanieren. Und der Erfolg gibt uns recht: Das Theater an der Wien hat sich in der internationalen Opernszene durchgesetzt, und das Ronacher neben dem Raimund Theater als 2. Musicalspielstätte dieser Stadt voll etabliert.

Musical-Zeitung: Die Zahlen, welche die VEREINIGTEN BÜHNEN WIEN vorweisen können, sind beeindruckend. Für das Jahr 2010 wird die Auslastung der beiden Musicalhäuser Raimund Theater und Ronacher Theater mit insgesamt 96,3 Prozent angegeben. Dahinter verbergen sich den Angaben zufolge mehr als 560.000 Zuschauer. Welchen Anteil hat das Genre Musical oder Musiktheater in Relation zu den sonstigen Kulturangeboten der Stadt?

Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny:
Das Musical ist eine ganz wichtige Ergänzung des Angebotes in Wien: Es steht für populäre, zeitgemäße Unterhaltung auf höchstem Niveau. Eine Stadt wie Wien lebt nicht nur von der – großen – Vergangenheit, sondern braucht genauso das kulturelle Leben von heute. Deshalb fördern wir neben den großen klassischen, traditionellen Einrichtungen viele Häuser und Initiativen, die zeitgenössisches Theater, Musik, Musiktheater, Performance und Kunst anbieten. Das Musical ist für die Wienerinnen und Wiener genauso wichtig und interessant wie als Anziehungspunkt für Gäste aus dem Umland und Touristen.

Musical-Zeitung: Welches ist Ihr Lieblingsmusical und warum?

Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny:
Von den letzten Produktionen hat mir „Ich war noch niemals in New York“ besonders gut gefallen, weil das die Lieder aus meiner Jugend sind.

Musical-Zeitung: Vielen Dank für das sehr nette Interview!

Stand: 12/2012