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| Martin Lingnau |
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Komponist
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Musical-Zeitung.de: Sie haben viele Songs für diverse Musicals geschrieben? Was reizt Sie so an Musicals?
Martin Lingnau: Das Musical ist eine wunderbare Kunstform, um Geschichten zu erzählen. In Popsongs hat man hierfür gerade einmal drei Minuten Zeit, in einem Musical zwei Stunden. Die Verwebung von Schauspiel, Tanz und Gesang zu einer Einheit ist eine große Herausforderung. Und dazu kommt die Unmittelbarkeit des Musicals. Wenn ich für Film oder Tonträger arbeite, ist man nicht in direktem Kontakt mit dem Publikum. Ein Musical findet live in genau dem Moment statt, in dem das Publikum es sieht. Und dieses Gemeinschaftserlebnis ist für mich etwas sehr Besonderes.
Musical-Zeitung.de: Wie gehen Sie beim Komponieren vor? Haben Sie ein Erfolgsrezept für die Arbeit als Komponist?
Martin Lingnau: Ich habe leider kein Erfolgsrezept. Mein Zugang zur Arbeit ist sehr einfach: Ich schreibe so, wie es mir selbst gefallen würde. Ich suche mir die Projekte so aus, dass sie für mich persönlich spannend sind. Wenn dies dann auch noch dem Publikum gefällt, ist es wunderbar und ein großes Geschenk. Ich glaube jedoch nicht daran, dass man primär darauf schielen kann oder sollte, was das Publikum vermeintlich sehen oder hören möchte. Meiner Meinung nach ist das Projekt dann auf Sand gebaut. Denn so entstehen keine originären Stoffe oder Stücke. Auf diese Weise wird man immer etwas anderem nacheifern, was vorher schon einmal da war. Natürlich gilt dies innerhalb eines gewissen Rahmens. Die „Villa Sonnenschein“ hat beispielsweise sehr unpopuläre Themen wie das Älterwerden, Leben in einem Altersheim etc. als Basis für unsere Geschichte. Und das Milieu eines Seniorenheims wäre in einem Rezeptheft für erfolgreiche Musicals garantiert nicht unter den Top Ten. Durch die Wahl der Handpuppen als Theatermittel entsteht ein Spannungsfeld, dass diesen Abend so besonders macht und die Berührungsangst mit den zugrundeliegenden Themen verschwinden lässt.
Musical-Zeitung.de: Haben Sie einen Song, auf den Sie besonders stolz sind?
Martin Lingnau: Immer, wenn in einem Musical Songs perfekt zu einem Charakter oder zu einer Situation zu passen scheinen oder aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Bereiche eine Einheit wird, die in der Schreibphase so noch nicht erkennbar waren, macht mich dies besonders froh. „Mein Lied für Dich“ aus Swinging St. Pauli ist ein Beispiel für die erste Kategorie. Dieses Lied über Liebe und Hoffnung in einer schweren Zeit steht sowohl als alleinstehender Song sehr gut da, im Musical hat es eine zentrale Rolle in der Schlussszene und zeigt die charakterliche Wendung eines Hauptcharakters. Wenn dies so gelingt, bin ich sehr froh. „Wieder mal am Marterpfahl“ ist ein Beispiel der zweiten Kategorie. Das Lied ist an und für sich ein schöner Song, aber durch das Zusammenspiel der Charaktere mit den Puppen und den lebendig werdenden Bühnenelementen entsteht ein Theaterzauber, der das Lied erst zu dem großartigen Bühnenerlebnis gemacht hat. Dies war einer meiner Lieblingsmomente im „Schuh des Manitu“.
Musical-Zeitung.de: Mehrere Ihrer Musicals hatten ihre Premiere im Schmidt Theater oder Schmidt Tivoli. Was macht die beiden Theater so besonders für Sie?
Martin Lingnau: Die beiden Häuser zeichnen sich durch den Mut aus, Neues zu wagen. Die Theater sind nicht subventioniert und somit auf kommerziellen Erfolg angewiesen. Trotzdem haben wir hier stets die Möglichkeit bekommen, Uraufführungen auf die Bühne zu bringen. Die zugrundeliegende Situation von „Swinging St. Pauli“ oder die schon erwähnte Thematik der „Villa Sonnenschein“ sind nicht risikofrei. Wir haben mit „Pension Schmidt“ ein zu Beginn waghalsiges Experiment gestartet, in dichter zeitlicher Abfolge zweistündige Theaterabende in einem festen Schauspielerensemble komplett zu improvisieren und innerhalb der Probenzeit unter enormem Zeitdruck für die Figuren Songs zu schreiben. Ein von außen betrachtet irrsinnig riskantes Projekt. Nehmen wir die aktuelle Produktion „Volles Programm“: Auch die Idee, eine populäre Musiktheatershow über 40 Jahre Fernsehen gemeinsam mit Oliver Kalkofe, einem der bekanntesten Fernsehkritiker Deutschlands zu schreiben, hat schon eine gewisse Spannung in der Anlage an sich. Dies alles schätze ich sehr und ich weiß, dass es in Deutschland kein zweites vergleichbares Theater gibt. Daher bin ich sehr froh, seit nunmehr 15 Jahren ein Teil dieses wunderbaren Teams zu sein.
Musical-Zeitung.de: Die „Heiße Ecke“ läuft seit Jahren als Dauerbrenner. Wie erklären Sie sich, dass das Musical bisher so gut angenommen wurde vom Publikum?
Martin Lingnau: Die „Heiße Ecke“ hat ebenfalls ein sehr eigenes Konstrukt als Motor. Wir sehen 24 Stunden auf der Reeperbahn, jeweils fünf Minuten einer Stunde. Wir haben nur einen einzigen Spielort und keine wirkliche Hauptfigur. Dies wäre in einem Rezeptheft für ein erfolgreiches Musical wahrscheinlich eher unter den „don’t do it’s“ zu finden. Aber genau dieses Theatermittel zu verwenden, hat für mich den Reiz ausgemacht, die „Heiße Ecke“ auf die Bühne zu bringen. Natürlich spielt es in Hamburg, es zeigt die Reeperbahn von ihren verschiedenen Seiten. Aber dieses Musical ist keine musikalische Stadtführung. Es werden emotionale Themen behandelt, die wir alle kennen. Und dadurch ist die „Heiße Ecke“ so nahbar und menschlich. Ich glaube, der Zuschauer wird sich zumindest in einer der vielen Geschichten wiederfinden. Und so ist für jeden etwas dabei. Die Wandelbarkeit der Darsteller und die Möglichkeit, als Komponist verschiedene musikalische Stilistiken in einem einzigen Musical bedienen zu können, kommt dem ebenfalls zugute. Und wenn der Zuschauer nach dem Musicalbesuch das Theater verlässt, wird er augenblicklich auf der Reeperbahn viele der Figuren wieder entdecken, die er gerade noch auf der Bühne gesehen hat. Ich glaube, dass das Zusammenspiel dieser verschiedenen Aspekte den Abend in der „Heißen Ecke“ so besonders macht.
Musical-Zeitung.de: Wie kam es dazu, dass Sie sich als Komponist den „Schuh des Manitu“ anzogen?
Martin Lingnau: Es war ungemein reizvoll, zusammen mit Bully Herbig und einem internationalen Team einen der erfolgreichsten deutschen Filme für die Musicalbühne bearbeiten zu dürfen. Die Freiheit, die wir hatten, Figuren aus dem Film für die Bühne zu vertiefen, hat schon enorm Spaß gemacht. Dem Gangster, Hombre, einer Seitenfigur aus dem Film, beispielsweise in der Musicalversion viel mehr Gewicht zu geben, und ihn am Anfang des 2. Teils den großen Showstopper „Das Leben ist schön“ singen lassen zu können, zählt zu meinen Top-Erlebnissen dieser Produktion. Und es war natürlich wunderbar, einmal für ein großes Live-Orchester schreiben zu können. Außerdem sind einige wunderbare Freundschaften entstanden, die ich nicht mehr missen möchte. Beispielsweise zu Doug Besterman, der den „Schuh“ orchestriert hat und den ich für seine Arbeit seit Jahren bewundere.
Musical-Zeitung.de: Welches ist Ihr aktuelles Lieblingsmusical und warum?
Martin Lingnau: Ich bin immer dann begeistert, wenn dem Musical eine neue Form gegeben wird. „Billy Elliot“ und „Spring Awakening“ stehen hier bestimmt ganz weit vorn. Hier wurde nicht auf eine vermeintlich funktionierende Musical-Rezeptur zurückgegriffen, sondern Neuland betreten, scheinbar elementare Musical-Regeln außer Kraft gesetzt und etwas Eigenständiges geschaffen. Sowohl konzeptionell, als auch in der musikalischen Sprache. „In the Heights“ möchte ich hier natürlich ebenfalls nennen.
Musical-Zeitung.de: Vielen Dank für das nette Interview!
Interview: 11/2010
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