Familienbande

Hamburger Kammerspiele

Eine Geburtstagsfeier der wenig feierlichen, aber dafür umso unterhaltsameren Art zeigen die Hamburger Kammerspiele mit der Produktion „Familienbande“. Lautstark geht es zu, wenn die tief gespaltenen Familienzweige nach langer Zeit wieder aufeinandertreffen und am Vorhaben scheitern, sich wenigstens an Opas großem Ehrentag zusammenzureißen. Während der störrische Opa Josef die Feierlichkeiten zu seinem achtzigsten Geburtstag über sich ergehen lässt und das gemeinsame Geburtstagsständchen aus aller Munde einfordert, heizt sich die Stimmung unter den Familienmitgliedern in einem Nebenzimmer immer weiter auf. Da werden alte Feindseligkeiten reanimiert und gewohnte Hässlichkeiten schnell wieder ganz oben auf die inoffizielle Tagesordnung gesetzt. Im Laufe der Jahre sind sich die Familienmitglieder teilweise vollkommen fremd geworden, aber die ungeliebte Vergangenheit ist immer noch dieselbe und bietet wenig Stoff für schmeichelnde Gespräche. So groß das Gasthaus auch sein mag, es bietet zu wenig Raum, sich aus dem Weg zu gehen. Wo einer hinzukommt, lädt sich die Spannung im Handumdrehen auf, um sich gleich darauf vor Ort in donnernden Dialogen zu entladen. Alle wissen Opas Geld auf ihre Weise zu schätzen, und der spekulierende Sohn Albert hat angesichts seiner finanziellen Situation einen großen Teil davon schon für sich eingeplant. Die Geburtstagsfeier nutzt er geschickt, um seine Mutter auf galante Art anzupumpen. Was auf der Ebene von Opas erwachsenen Kindern schon eine familiäre Katastrophe ist, potenziert sich in den Reihen der Enkelkinder. Die verzogene Polly träumt nur vom Shoppen und lässt sich von ihrem Vater die Anwesenheit auf Opas Geburtstagsfeier teuer bezahlen, während der ehemals brave Julius in einer schweren Pubertätskrise steckt und sich als Gangster-Rapper wähnt. Helena, die introvertierte Streberin mit dem Stotter-Problem, entdeckt ihren Wunsch zu rebellieren und lässt ihren Phantasien gleich vor Ort freien Lauf, während ihre energische Mutter damit beschäftigt ist, ihren Platz in der familiären Hackordnung gegenüber ihren Geschwistern zu behaupten.

Der musikalische Abend von Lutz Hübner und Franz Wittenbrink hat es in sich. „Familienbande“ zeigt, wie gut Publikumsunterhaltung funktioniert, wenn Konflikte nicht nur in Dialogen, sondern auch musikalisch ausgetragen werden. Herrlich bunt sind die Figuren, die sich auf der Bühne anderthalb Stunden lang regelrechte Sprachschlachten liefern, wobei die Musik hilft, Stimmungen akustisch kontrastreich auszudrücken. Das Publikum erlebt, wie die Figuren – dem feierlichen Anlass trotzend – schnell ihren Ressentiments und alten Feindbildern verfallen. Amüsant sind die Dialoge und Charaktere ausgestaltet. Der Humor steckt zum einen in den Gegensätzlichkeiten der Figuren, zum anderen in der Direktheit der
Dialoge. Salopp ausgedrückt, treffen Kontrastreichtum und Krassheit aufeinander. Das ist neben der Regie von Franz-Joseph Dieken vor allem dem sehr dynamischen Ensemble zu verdanken. Tim Grobe hat schon in dem Stück „Sylt- ein Irrtum Gottes“ als Polit-Snob begeistert. In „Familienbande“ mimt er den wortgewandten Möchtegern-Geschäftsmann, der tief in Geldnöten steckt. Er schlüpft aber auch in die Rolle des greisen Jubilars und überzeugt mit seiner schauspielerischen Gewandtheit, seinem tänzerischen Engagement und seiner stimmlichen Vielfalt beim Gesang. Einige wenige Spielszenen werden nämlich nach Vorbild einer Oper in ausgefallenen Stimmlagen gesungen, wohl- um die Skurrilität der jeweiligen Situationen zu unterstreichen. Es ist ein besonderes Theatererlebnis, Katharina Abt unter anderem in solch einer opernähnlichen Szene zu sehen und singen zu hören. Ihr Stimmenpotenzial ist beeindruckend. Man merkt ihr ihre Gesangsausbildung an.
Auch Jasmin Wagner brilliert in ihrer Rolle als rebellierende Streberin. Sie ist als Person hinter der Mimik und Gestik der unbeholfenen und biederen Helena kaum wiederzuerkennen und zeigt sich schauspielerisch in Höchstform. Beim Singen sorgt sie für akustische Genussmomente, was bei dem ehemaligen Teenager-Popstar aber nicht weiter verwundern sollte. Mit ihrer engagierten Spielweise und den unsicheren Blicken, mit denen sie hinter ihren Brillengläsern zögernd hervorblinzelt und bieder in die Runde blickt, verleiht sie der Figur der Helena gekonnt eine im Stück durchweg spürbare Portion Extrahumor. Als verzogene Polly und wild pubertierender Julius fallen Anne Wiese und Ben Knop auf. Beide spielen ihre Rollen sehr dynamisch. Anne Wiese ist im Stück als Polly so gut wie dauerpräsent, was die Darstellerin auch lebhaft auszugestalten weiß. Ben Knop überzeugt gesanglich mit seinem Solo „Baby, mach’ dir nie mehr Sorgen um Geld“ von Cro. Julian Sengelmann macht seine Auftritte als singender Gitarrenspieler gekonnt zu kurzen Minikonzerten. Als Solist gelingt ihm der Song „Erst noch kurz die Welt retten“ von Tim Bendzko besonders gut. Schließlich steuern Caroline Kiesewetter und Alice Wittmer noch ihr großes schauspielerisches Engagement bei. Alice Wittmer spielt mit viel Schwung die musikbegeisterte Enkeltochter Nele, die nicht nur bei dem Discosong „We are family“ stimmlich und tänzerisch auf sich aufmerksam macht, während Caroline Kiesewetter in der Doppelrolle von Helenas Mutter und Gattin des Jubilars gleichsam glaubhaft wirkt. Für die instrumentale Begleitung sorgt Fabian Schubert unter der musikalischen Leitung von Matthias Kloppe. Musical-Zeitung.de meint: „Ein unterhaltsamer Liederabend zum Lachen und Weiterempfehlen!“