Liebe stirbt nie

Stage Operettenhaus

Eine besonders schöne Strophe der Fortsetzung von "Das Phantom der Oper", die sinngemäß lautet "Das Herz sieht viel mehr als Augen je sehen" beschreibt im Grunde treffend den Charakter der Musicalproduktion "Liebe stirbt nie". Das einst düstere Phantom spukt nicht länger durch die Katakomben der Pariser Oper. Es eröffnet das Musical mit einem emotionalen Monolog, in dem es die Sehnsucht nach Christine Daaé beklagt. Als Komponist steckt das Phantom in einer Schaffenskrise und wähnt in seiner großen Liebe seine Erlösung.
Nur ihr Gemahl Raoul steht ihm im Wege. Das Phantom setzt alles daran, die inzwischen zu Ruhm gekommene Sängerin Christine für sich zu gewinnen und lockt sie samt Familie unter fremdem Namen mit einem lukrativen Angebot in seine Welt. Als er im Hotelzimmer dann plötzlich nach zehn Jahren wieder vor ihr auftaucht, fällt Christine in Ohnmacht. Im Phantom sieht sie mehr als nur ein gefürchtetes Mysterium. Ein einziges Mal waren sich beide sehr nahe gekommen, aber bei genau diesem einen Mal haben beide ihre Gefühle füreinander entdeckt. So blickt Christine inzwischen hinter die Maske des Phantoms und sieht es mit ihrem Herzen. Das Phantom nutzt die finanzielle Lage von Raoul, der sich nur als Schatten an der Seite seiner Frau sieht, als Druckmittel. Er bringt seinen Rivalen dazu, sich auf einen abscheulichen Deal mit dem Phantom einzulassen, bei dem das Motto bedrohlich nüchtern klingt: "Wer verliert, geht unter." Das Schicksal der beiden Widersacher hängt nun gleichermaßen von der Gunst der Sängerin Christine ab. Für Raoul ist Christine seine gesellschaftliche Identität, da seine eigene zwischen Spiel und Alkohol längst ausblich.
Für das Phantom ist Christine der Schlüssel für den Erfolg seiner Musik. Daher ist für die Rivalen klar: Der, von dem sich Christine abwendet, geht in seinen Problemen unter.
Raoul würde in seinen Schulden versinken, und das Phantom würde an der Gewissheit zugrunde gehen, nie wieder ein vollkommenes Lied komponieren zu können.
Ihr Schicksal hängt von einem Lied ab, das so geschickt komponiert ist, dass Christine nicht ablehnen kann. Singt sie das Lied, entscheidet sie sich für das Phantom. Aber das Phantom ahnt nicht, dass es noch einen anderen Gegenspieler hat, der im Hintergrund agiert und eigene Pläne verfolgt. Die Situation spitzt sich zu, so dass am Ende alles anders kommt, als es das Phantom geplant hat.



Das Musical "Liebe stirbt nie" ist eine geschickte Inszenierung, welche die Gefühle der Figuren in den Vordergrund stellt. Die Gefühlswelten der Figuren werden schlüssig miteinander verwoben, so dass "Liebe stirbt nie" ein bis zum Ende konsequent durchgespieltes romantisches Drama ist. So ließe sich der erste Teil auch umschreiben.
Insofern knüpft die Fortsetzung auch thematisch und stilistisch an "Das Phantom der Oper" an. Aber die Handlungsorte unterscheiden sich deutlich. Das Phantom verliert in der Fortsetzung die Oper als lokale Referenz, mit der es im Titel des ersten Teils untrennbar verknüpft ist. Das Phantom hat sich seine eigene Welt geschaffen und herrscht als bizarrer Impressario über das nicht weniger bizarre Varieté-Theater Phantasma auf Coney Island. Dort arbeiten auch Christines Freundin Meg und ihre gestrenge Mutter Madame Giry.
In "Liebe stirbt nie" kämpft Christine mit ihren Gefühlen, denn sie hat Empfindungen für das Phantom. Sie sieht in ihm einen begnadeten Komponisten, und ihr etwas heruntergekommener Gemahl bestärkt mit seinen Eskapaden nur die Gefühle für das Phantom. Das macht die Dramatik des Bühnenstoffs aus. Es gibt in der Fortsetzung dadurch aber auch nicht mehr die klare Trennung von der düsteren Welt des Phantoms und der heilen Welt der Romantik. Selbst die eigentlich oberflächlich sorglose Welt der Unterhaltung ist beim Varieté-Theater des Phantoms bei "Liebe stirbt nie" eigentlich nur Kulisse, denn dahinter verbergen sich auch unerwartete und schockierende Abgründe.
So mag man als Zuschauer ein wenig das gewohnt Konstante wie beim ersten Teil vermissen.
Aber genau dieses Unbeständige macht die große Dynamik von "Liebe stirbt nie" aus.
Wie auch beim ersten Teil gibt es bei "Liebe stirbt nie" einige dramatische und fesselnde Momente, und zum Ende des ersten Aktes ertönt dann auch endlich aus dem Orchester-Graben eine packende Pop-Nummer, als das Phantom in Christines Sohn Gustave einige ihm vertraute Wesenszüge erkennt. Der Song ist auch gut auf die Dramaturgie abgestimmt, denn Gustave und das Phantom laufen auf einer Drehbühne vor der Kulisse einer Freak Show.
Daher ist diese Szene sehr dynamisch- genau wie der Song von seiner Komposition her.
Im zweiten Akt setzt Andrew Lloyd Webber anscheinend eher auf die anrührende Melodie "Liebe stirbt nie", mit der er dem zweiten Akt quasi akustisch seinen Stempel aufdrückt.
Die Szenen zwischen den beiden musikalischen Höhepunkten wirken dafür umso beladener mit Bühnendramaturgie. Aber in den Liedern schimmern immer wieder herrlich griffige Strophen hindurch. Die Übersetzung der Liedtexte in die deutsche Sprache ist überzeugend und eine der Stärken der Musical-Produktion. So können die Musik und der Gesang das Publikum erneut vereinnahmen. Auch die Besetzung ist erstklassig, selbst wenn mal keine großen Namen auf der Bühne stehen sollten. Robert Meyer zum Beispiel geht in der Rolle als Phantom schauspielerisch und gesanglich auf. Auch mit seiner stattlichen Statur gibt er dem Phantom eine vereinnahmende Optik. Als Christine Daaé lässt beispielsweise Heidi Karlsson die Zuschauer mitfiebern. Sie lässt vor allem beim Titelsong aufhorchen.
Musical-Zeitung.de meint: "Liebe stirbt nie" ist ein herrlich dramatisches Duell der Emotionen und ein Argument, mal wieder ein Musical anzuschauen.



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