Nina Schneider

Autorin, Übersetzerin, Schauspielerin

Musical-Zeitung.de: Frau Schneider, Sie haben als Musicalübersetzerin schon vor vielen Jahren "Closer Than Ever" übersetzt, bei dem es um die charakterliche Darstellung in Form einer Nahaufnahme von vier Personen geht. Diese Darstellung bei der Übersetzung in die deutsche Sprache exakt textlich abzubilden, muss eine große Herausforderung gewesen sein. In wie weit muss man selbst ein wenig Abstand zur englischsprachigen Vorlage halten, um sich sozusagen selbst den Figuren nähern zu können?

Nina Schneider:
Übersetzen ist immer ein Balanceakt nicht nur zwischen den Sprachen, sondern auch zwischen den Kulturen. Meines Erachtens sollte man sich darum primär bemühen, sich nicht an Worte zu klammern, sondern Inhalte zu übermitteln. Und in manchen Fällen, wenn man z.B. ein sehr archetypisches sprachliches Bild oder eine Pointe übersetzen will, muss man sich sogar von der Vorlage lösen, um ihr gerecht zu werden. Das klingt paradox, macht aber anhand eines kleines Beispiels aus „Closer than Ever“ vielleicht Sinn: Im Song „Life Story“ beschreibt eine geschiedene Ehefrau, wie Ihr ehemaliger Hippie-Ehemann nach einer verrückten Zeit als Sektenmitglied in einem Aschram schließlich in ein biederes und angepasstes Leben zurückkehrt: „Then one day he came back from limbo, found himself some bimbo and moved to New Rochelle“. New Rochelle ist für Amerikaner nicht erst seit der Dick van Dyke-Show der Inbegriff einer sauberen, netten Kleinstadt, der absolute Gegenpol zum großstädtischen und „sündigen“ New York, das nur wenige Kilometer entfernt liegt--- im deutschsprachigen Raum weckt dieser Name aber keinerlei derartige Assoziationen. Also habe ich (mit Erlaubnis des Verlags, natürlich), diese Passage „eingedeutscht“: „Doch schließlich wurde er solide, fand seine Elfriede und zog nach Westerland“. Natürlich kann man jetzt kritisieren, dass ich mich damit rein Begriffs-technisch vom Original entfernt habe, aber ich behaupte, dass genau das Gegenteil der Fall ist--- denn jeder Zuschauer, der diesen Satz das erste Mal im Theater hört, wird genau begreifen, was gemeint ist, während sich ihm die Bedeutung (und auch die Pointe) nicht erschließen würde, wenn ich es bei dem amerikanischen Städtenamen belassen hätte.




 

Nina Schneider Foto: Felicitas Matern

Musical-Zeitung.de: Sie haben auch die deutschsprachigen Neufassungen von „The Producers“ und „Spring Awaking“ geschrieben. Wie gehen Sie bei der Übersetzung von Stücken vor, damit Sie in die Neufassungen ihren eigenen Stil einfließen lassen können? Kann man als Übersetzerin einem Musical einen eigenen Charakter geben, oder ist dafür kein Spielraum?

Nina Schneider:
Die Neufassung eines bereits übersetzten Stücks ist eine heikle Angelegenheit, und ich habe sehr genau darauf geachtet, die Arbeit der anderen Übersetzer zu respektieren, und dazu gehört natürlich auch, nichts von ihrem Gedankengut zu übernehmen oder, salopp gesagt, zu klauen. Ich habe also tatsächlich bei jedem Lied zunächst meine Fassung geschrieben und sie dann mit den bereits existierenden Fassungen verglichen und, gegebenenfalls, auch verändert, wenn sie zu ähnlich waren. Natürlich gibt es gewisse Hooklines, die man bei allem Bemühen nicht anders übersetzen kann; in PRODUCERS gibt es z.B. beim Refrain „Then along came Bialy“ kaum eine andere Möglichkeit als "Aber dann kam Bialy“. Zum Glück habe ich beim Übersetzen festgestellt, dass sich meine Versionen meistens ohnehin von den anderen unterschieden; der „eigene Stil“ schimmert also wohl bei jedem Übersetzer immer ein bisschen durch. Was die Frage nach dem „eigenen Charakter“ betrifft, den man als Übersetzer dem Musical geben könnte: Den bringt das Werk selbst mit, und ein Werk wie „Dynamit“, das zwischen 1870 und 1905 spielt, hat selbstverständlich einen anderen Charakter und Sprachstil als z.B. „Closer than Ever“. Den habe ich zu respektieren und zu reflektieren, nicht umgekehrt.

Musical-Zeitung.de: Zusammen mit dem Komponisten Paul Graham Brown haben Sie mit "Das Newsical" ein Improvisationsprojekt gemeistert, bei dem Sie aktuelle Themen künstlerisch aufbereitet haben und daraus dann nachfolgend einen Musiktheaterabend entwickelt haben. Dazu gehört eine Parodie auf "Jekyll und Hyde", bei dem es um die Suche nach stimulierenden Früchten geht. In wie weit weckt das Genre Musical Ihre Lust auf Neues?

Nina Schneider:
Ich denke, dass es innerhalb der Parameter „Musical Theatre“ Raum für viele kreative und spannende Projekte gibt; Paul Graham Brown hat das ja mit dem „Newsical“ eindrucksvoll demonstriert. Es wäre schön, wenn man hier im deutschsprachigen Raum noch ein bisschen mutiger und freier mit dem Genre umgehen und sich auch einmal an durchgeknalltere oder kontroversere Themen trauen würde, wie es im englischsprachigen Raum ja schon lange eine Selbstverständlichkeit ist.

Musical-Zeitung.de: Das erste Musical, das Sie mit Paul Graham Brown geschrieben haben, heißt "Show Dogs" und wurde mit dem Frank Wildhorn Award for Musical Theatre ausgezeichnet. In wie weit hat dieser Preis Ihr künstlerisches Schaffen geprägt oder verändert?

Nina Schneider:
Der Preis war eine schöne Anerkennung, die Paul Graham Brown und mich sehr gefreut hat. Unseren künstlerischen Arbeitsprozess hat er nicht verändert, aber er war in jedem Fall eine erfreuliche Ermutigung, dass wir mit unserer Arbeit hoffentlich auf dem richtigen Weg sind.

Musical-Zeitung.de: Sie haben mit "That's Life" das Buch zu einem Jukebox-Musical geschrieben. Das wurde sogar als Dinner-Show aufgeführt. Wie kam es dazu?

Nina Schneider:
„That´s Life“ war ein Auftragswerk für das Capitoltheater in Düsseldorf, das eine vorweihnachtliche Dinner-Show machen wollte. Die Grundidee für das Buch stammt von Regisseur Alex Balga, mit dem ich schon vorher des öfteren und sehr gerne zusammen gearbeitet habe. Er hat auch zum größten Teil die Musikauswahl getroffen, und basierend auf diesem Grundkonzept habe ich dann das Buch für die Show geschrieben, die er später inszeniert hat.
Die Herausforderung hierbei war, dass zuerst die Musik existierte und wir darum herum eine plausible, unterhaltsame Handlung bauen mussten, ohne dass das Endresultat konstruiert oder bemüht wirkte. Das war spannend und hat viel Spaß gemacht.

Musical-Zeitung.de: Sie sind nicht nur Musicalautorin und Übersetzerin, sondern auch Schauspielerin. In wie weit hilft Ihnen das, sich in die Figuren aus Übersetzungsvorlagen hineinzudenken?

Nina Schneider:
Als Schauspieler ist man gewohnt, Figuren besser kennen zu lernen und sich ein ganzheitliches und vielleicht auch kritisches Bild zu machen. Und wenn ich mich auf diese Art mit einer Figur vertraut gemacht habe, fällt es mir auch leichter, ihren Sprachduktus nachzuvollziehen und folgerichtig zu verwenden, was in jedem Fall eine große Hilfe beim Übersetzen ist.

Musical-Zeitung.de: In wie weit ist für Sie Musical das bessere oder neuzeitlichere Theater?

Nina Schneider: Ich könnte nicht sagen, dass ich das Musical für das „bessere“ Theater halte, da ich Theater in jedweder Form liebe, egal ob es sich um Sprechtheater, Oper oder Musical handelt. Ich denke aber, dass das Musiktheater generell sehr unmittelbar und direkt an die Emotionen der Zuschauer appelliert, was das deutsche Regietheater heutzutage leider oft versäumt; wenn ich hier ins Detail gehen wollte, würde das den Rahmen des Interviews sprengen. Es reicht vielleicht zu sagen, dass das Musical für viele Zuschauer möglicherweise zugänglicher, emotional fesselnder und somit auch unterhaltsamer ist und daher nach wie vor ein großes Publikum anlockt. Dieser unmittelbare Appell an die Emotionen ist es auch, was mich persönlich an diesem Genre immer berührt und fasziniert hat, da ich finde, dass Theater für die Zuschauer gemacht wird und nicht an ihnen vorbei gehen sollte.

Musical-Zeitung.de: Vielen Dank für das nette Interview.

Stand: 09/2012